Die Genfer Flüchtlingskonvention sichert Menschen das Recht auf Asyl und ein Recht auf Schutz davor, in ein Land zurückkehren zu müssen, in dem schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Eine Einschränkung dieses Rechts besteht durch das Konzept der „Sicheren Herkunftsstaaten“, das 1992 von CDU und SPD eingeführt wurde. Dieses Konzept stützt sich auf die Annahme, dass Menschen aus „Sicheren Herkunftsstaaten“ nicht verfolgt werden. Als „Sicheren Herkunftsstaaten“ gelten z.B. Serbien, Nordmazedonien, Bosnien Herzegowina, Albanien, Montenegro und den Kosovo. Ein Großteil der Geflüchteten in Hamburg wird in eben diese Länder abgeschoben. Möchten Geflüchtete aus diesen Staaten trotzdem Asyl beantragen, müssen sie beweisen, dass für sie eine Bedrohung besteht. Sie haben Anspruch auf ein Verfahren, in dem das Asylgesuch individuell und unvoreingenommen geprüft wird. In der Praxis führt die hohe Hürde bei der Beweisführung aber in der Regel zur Ablehnung des Asylantrags.
Keine Sicherheit
Problematisch ist, dass Staaten nicht grundsätzlich „sicher“ sein können, denn auch in demokratischen Staaten kann die menschenrechtliche Situation gefährdet sein. Darüber hinaus ist es nicht möglich, die Menschenrechtssituation in einem Land aktuell und umfassend zu erfassen. Deshalb ist das Konzept der „Sicheren Herkunftsstaaten“ rechtlich fraglich. Rom:nja sind in den vorher aufgeführten Ländern massiven rassistischen Diskriminierungen und damit einhergehenden sozialen wie ökonomischen Ausgrenzungen ausgesetzt. Dadurch ist ein Zugang zu Arbeitsmarkt, Wohnungsmarkt, Gesundheitswesen, Bildungsmöglichkeiten, sozialer Sicherung, sanitären Einrichtungen und sauberem Trinkwasser nicht gewährleistet. Aus diesen Umständen können Gefährdungssituationen entstehen, die im Einzelfall asylrelevante Fluchtgründe, Gründe für subsidiären Schutz oder Gründe für ein Verbot der Abschiebung hervorbringen.
Serbien, Nordmazedonien, Bosnien Herzegowina, Albanien, Montenegro und der Kosovo erfüllen die hohen Voraussetzungen nicht, um als „Sichere Herkunftsstaaten“ gelten zu können. Dafür darf es generell und landesweit keine Verfolgungsgefahr geben, auch nicht gegenüber einzelnen Gruppen. Zum anderen darf dort generell keine unmenschliche / erniedrigende Behandlung oder Folter stattfinden. Hierbei ist irrelevant, ob die Folter aus politischer (Verfolgungs-)Motivation stattfindet oder nicht. Relevant ist, ob solche menschenrechtlich absolut verbotenen Handlungen überhaupt durchgeführt werden, und sei es auch nur gegen bestimmte Gruppen oder einzelne Personen. Die Einstufung eines „Sicheren Herkunftsstaates“ ist ausgeschlossen, wenn sich strukturelle Defizite finden. Damit ist beispielsweise gemeint, dass es bestimmte Muster gibt, nach denen gravierende Menschenrechtsverletzungen wiederholt stattfinden und/oder eine oder mehrere Bevölkerungsgruppen treffen, wie z.B. die bereits beschriebene Diskriminierung der Rom:nja.
Kaum Chancen auf Schutz
Die Umstände der Rom:nja in ihren Herkunftsstaaten können möglicherweise nicht alle asylrechtlich relevanten Voraussetzungen zur Gewährung von Asyl erfüllen, aber für die Gewährung subsidiären Schutzes. Rassistischen Diskriminierungen und Ausgrenzungen (z.B. Zugang zum Gesundheitswesen) können auch ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis darstellen. Leider wird in der Praxis jedoch deutlich, dass das BAMF und Gerichte sich bei ihren Beschlüssen nicht selten an der Einstufung als „Sicherer Herkunftsstaaten“ orientieren und Berichte zur aktuellen Lage sowie die individuelle Situation nicht mit einbeziehen. Von einigen Gerichten wird die rassistische Diskriminierung von Rom:nja grundsätzlich ausgeschlossen. Andere Gerichte kommen zu dem Schluss, dass die Diskriminierung soziale, aber keine rassistischen Gründe hätte. Dabei ist es der Antiziganismus, der ihre Armut und Perspektivlosigkeit in ihren Herkungsländern begründet. Das Urteil lautet jedoch in der Regel „offensichtlich unbegründet“, was zu Einschränkungen im Rechtsschutz führt.
Eingeschränkter Rechtsschutz
Durch das Konzept der „Sicheren Herkunftsstaaten“ wird das Recht auf effektiven Rechtsschutz eingeschränkt. Denn wenn der Antrag eines Menschen aus einem „Sicheren Herkunftsstaat“ abgelehnt wird, gelten im Vergleich zu normalen Asylverfahren kürzere Fristen. Beispielsweise muss eine Klage gegen einen Ablehnungsbescheid innerhalb einer Woche erhoben werden. Sie hat keine aufschiebende Wirkung. Wenn aufschiebende Wirkung der Klage erreicht werden soll, muss der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zur Wiederherstellung innerhalb einer Woche nach Zustellung des Ablehnungsbescheids gestellt werden. Diese Verfahren sind kompliziert, der Zeitdruck ist groß und Asylsuchende haben oft wenig Kenntnisse über die Abläufe. Dazu kommen häufig noch eine Sprachbarriere, geringe finanzielle Mittel und eine hohe emotionale Belastung durch die gegebenen Umstände. In Folge von Fehlern im Verfahren sind Betroffene von Abschiebung bedroht.
Handlungsempfehlungen für ein Asyl- und Bleiberecht
Die Unabhängige Kommission Antiziganismus spricht folgende Handlungsempfehlungen– Asyl und Bleiberecht aus:
Die Bundesregierung soll die Voraussetzungen zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für Geduldete erleichtern,
die Landesregierungen sollen durch Erlasse sicherstellen, dass Ausländerbehörden die bestehenden Handlungsspielräume nutzen, um „Kettenduldungen“ zu beenden und Aufenthaltserlaubnisse zuzugestehen,
die Landesregierungen und Ausländerbehörden sollen die Abschiebung von Rom:nja sofort beenden,
die Bundesregierung soll die Einstufung von Serbien, Nordmazedonien, Bosnien Herzegowina, Albanien, Montenegro und dem Kosovo als „Sichere Herkunftsstaaten“ zurücknehmen,
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge soll eine bessere Qualifizierung seiner Mitarbeiter:innen und die Überprüfung seiner Entscheidungspraxis sicherstellen,
die Verwaltungsgerichte sollen ihrer Entscheidungspraxis mit Blick auf die tatsächliche Situation von Rom:nja in diesen Staaten und kumulative Verfolgungsgründe prüfen,
die Landesregierungen und Ausländerbehörden sollen die Wiedereinreise von Rom:nja ermöglichen,
es soll einen gesicherten Aufenthalt für Rom:nja geben, die in Deutschland Opfer von rassistischer Gewalt geworden sind,
die Staatenlosigkeit von in Deutschland lebenden Rom:nja soll beendet werden,
es sollen rassismuskritische Bildungskonzepte für das Personal in den Ausländerbehörden entwickelt werden,
zivilgesellschaftliche Organisationen sollen gestärkt werden, damit sie Menschen in ungesicherten Verhältnissen begleiten können, damit Bleibeperspektiven entwickelt werden können.
Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung des Berichts der unabhängigen Kommission Antiziganismus (Kapitel: Antiziganismus im Kontext von Asyl und Bleiberecht).
Die Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft hat eine Große Anfrage zum Thema „Antiziganismus“ eingereicht.