Gemeinsame Erklärung der fluchtpolitischen Sprecher:innen der LINKEN im Bundestag, in den Landtagen und im Europaparlament
Am 8. Juni treffen sich die EU-Innenminister:innen, um über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zu beraten. Zur Debatte stehen beispiellose Einschnitte in die Rechte von Schutzsuchenden, die zu einer faktischen Aushebelung des Flüchtlingsschutzes in der EU führen würden.
Grenzverfahren unter Haftbedingungen
Die Vorschläge der EU-Kommission beinhalten die Einführung verpflichtender Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen. Asylsuchende sollen für die Dauer der Verfahren an den Grenzen rechtlich als noch nicht eingereist gelten. Um diese „Fiktion der Nicht-Einreise“ durchsetzen zu können, müssen die Betroffenen faktisch inhaftiert werden, wie es derzeit schon in den geschlossenen Auffanglagern auf den griechischen Ägäis-Inseln geschieht. Die Standards in Asylverfahren würden den Vorschlägen der EU-Kommission zufolge massiv abgesenkt, denn für Grenzverfahren gelten enge zeitliche Vorgaben, eingeschränkte Rechtsschutzmöglichkeiten und es wird keine ausreichenden unabhängigen Beratungsmöglichkeiten vor Ort geben. Es droht eine Verallgemeinerung der menschenunwürdigen Zustände wie im Lager Moria, welches symbolisch für das System der Entrechtung steht und das Politiker:innen noch vor wenigen Jahren parteiübergreifend als „Schande für Europa“ bezeichneten.
Ausweitung der Drittstaatenregelung
Die Grenzverfahren sollen nicht nur auf Asylsuchende aus Herkunftsstaaten mit niedrigen Anerkennungschancen angewendet werden, wie es oft fälschlich heißt, sondern auch auf Personen, die über sogenannte sichere Drittstaaten eingereist sind. Ihre Asylanträge könnten dann ohne inhaltliche Prüfung der Schutzbedürftigkeit als „unzulässig“ abgelehnt werden, weil sie angeblich in Drittstaaten wie der Türkei Schutz bekommen könnten. Diese Annahme erweist sich in der Realität allzu oft als Fiktion – trotzdem soll die im Rahmen des EU-Türkei-Deals erprobte Praxis künftig an allen Außengrenzen Normalität werden. Geplant ist eine massive Ausweitung der Drittstaatenregelung: Sie soll verpflichtend erfolgen und es soll genügen, wenn Teilgebiete eines Staates vermeintlich sicher sind. Entsprechende Länder müssen die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet haben und Schutzsuchende sollen sogar auf Staaten verwiesen werden können, die sie nie betreten haben („Modell Ruanda“).
Weiterführung des ungerechten Dublin-Systems
Hinzu kommt: Nach wie vor gibt es keinen Vorschlag für eine solidarische Verantwortungsteilung in der EU. Die Pläne der Kommission sehen vielmehr vor, am gescheiterten Dublin-System und dem Prinzip der Zuständigkeit der Ersteinreisestaaten festzuhalten und es sogar noch zu verschärfen. Das Problem einer strukturellen Benachteiligung von Mitgliedstaaten mit relevanten EU-Außengrenzen bliebe damit bestehen. Es ist zu befürchten, dass diese Staaten auch künftig Pushbacks durchführen, um nicht für Asylverfahren zuständig zu werden.
Die Bundesregierung trägt die Vorschläge zur massiven Verschärfung des EU-Asylrechts mit, obwohl sie diametral dem Koalitionsvertrag widersprechen. Darin hatten SPD, Grüne und FDP sich darauf verständigt, illegale Pushbacks und das Leid an den Außengrenzen zu beenden und sich für eine faire Verantwortungsteilung in der EU einzusetzen. Die aktuell diskutierten Verordnungen würden das genaue Gegenteil bewirken.
Mitglieder der Bundesregierung rechtfertigen ihre Zustimmung zu den Verschärfungsplänen mit der Behauptung, eine schlechte Reform sei besser als gar keine. Menschenrechtsverletzungen begegnet man aber nicht, indem man die Betroffenen noch weiter entrechtet! Das spielt rechten Kräften in die Hände, die den Flüchtlingsschutz in Europa komplett über Bord werfen wollen. Was es stattdessen braucht, ist ein Bekenntnis zum individuellen Recht auf Asyl und eine Rückkehr zur Einhaltung der Menschenrechte und rechtsstaatlicher Grundsätze.
Deshalb fordern wir die Bundesregierung und insbesondere Innenministerin Nancy Faeser auf, beim Treffen der EU-Innenminister*innen am 8. Juni verpflichtenden Grenzverfahren, der Ausweitung der Drittstaatenregelung und der Weiterführung des ungerechten Dublin-Systems eine klare Absage zu erteilen.
Ja – die Europäischen Asylpolitik muss grundlegend neu ausgerichtet werden. Dabei müssen aber die Menschenrechte der Schutzsuchenden im Mittelpunkt stehen und nicht rechte Träume von einer totalen Abschottung der Festung Europa. Dafür muss die Bundesregierung sich einsetzen.
Unterzeichner:innen:
Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag
Carola Ensslen, flüchtlingspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft
Cornelia Ernst, asyl- und migrationspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Europaparlament
Andrea Johlige, Sprecherin für Migrations- und Integrationspolitik der Fraktion DIE LINKE im Landtag Brandenburg
Ferat Koçak, fluchtpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Berliner Abgeordnetenhaus
Katharina König-Preuss, Sprecherin für Migrationspolitik, Antifaschismus und Antirassismus der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag
Elisabeth Kula, Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Hessischen Landtag
Sofia Leonidakis, Vorsitzende und fluchtpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE in der Bremischen Bürgerschaft
Juliane Nagel, Sprecherin für Migration und Flucht der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag
Henriette Quade, Sprecherin für Asyl- und Migrationspolitik der Fraktion DIE LINKE im Landtag von Sachsen-Anhalt