Hartz-IV-Urteil: Immer noch kein Ende des Sanktionsregimes

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424 Euro zum Leben für einen Erwachsenen. Dazu die Kosten der Unterkunft – natürlich auch gedeckelt. Das ist Hartz IV. Und das sollte ja wohl das Existenzminimum sein… Wenn wir nun 30% von den 424 Euro wegnehmen, dann sind das 127,20 Euro weniger. Und das soll laut Bundesverfassungsgericht ok sein…

Die LINKEN-Vorsitzende Katja Kipping bezeichnet das als einen Quantensprung für soziale Grundrechte. Das kann ich in der Entscheidung nicht erblicken. Im Gegenteil: Das Gericht findet ja noch nicht einmal 100%-Sanktionen völlig undenkbar, sondern meint nur, dass ihre Wirkung in Richtung Arbeitsaufnahme nicht genügend erforscht sei.

Heribert Prantl kritisiert die Entscheidung in einem Kommentar (SZ vom 08.11.2019) zu Recht scharf: „Die Armen in Deutschland werden gern als „sozial schwach“ bezeichnet. Das ist eine Beleidigung. Sozial schwach sind diejenigen, die den Armen aus der Armut helfen könnten, es aber nicht tun. Sozial schwach ist auch das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts.“

Bleibt die Frage, ob der Entscheidung etwas Positives abzugewinnen ist. Dazu Alexander Thiele im Verfassungsblog vom 05.11.2019:

„Zunächst zu einer Kürzung von 30%, die nach § 31a Abs. 1 S. 1 SGB II im Falle einer Pflichtverletzung nach § 31 SGB II zwingend für drei Monate eintritt. Das Bundesverfassungsgericht geht zwar davon aus, dass der gesetzgeberische Spielraum begrenzt ist, weil das grundrechtlich geschützte Existenzminimum berührt ist. Obwohl die Belastungswirkung außerordentlich sei, sei diese Kürzung dem Grunde nach aber nicht zu beanstanden. Als unzulässig wertet der Senat lediglich den Umstand, dass diese Kürzung zwingend eintritt und zudem immer erst nach drei Monaten endet. Insoweit müssten erstens Härtefallregelungen vorgesehen werden, zweitens müsse der Betroffene die Chance haben, die Sanktion jederzeit durch eigenes Verhalten abzuwenden.“

Immerhin… Es besteht nun mehr Entscheidungsspielraum vor Ort. Bislang wurde in Hamburg achselzuckend gesagt, wir würden ja gern, können aber nicht. Da gilt es nun, das Jobcenter t.a.h. beim Wort zu nehmen. In einem von mir formulierten Antrag (Drs. 21/17457) hat die Linksfraktion Hamburg bereits im Juni 2019 folgendes beantragt:

„Der Senat wird aufgefordert, bei den Jobcentern darauf hinzuwirken, dass alle gesetzlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um Sanktionen zu vermeiden. Darunter fallen insbesondere:

– ein Aushandeln der Sinnhaftigkeit von Maßnahmen oder Inhalten von Maßnahmen auf Augenhöhe und eine einvernehmliche Entscheidung darüber,

– die großzügige Anerkennung von wichtigen Gründen bei Meldeversäumnissen oder bei der Weigerung, sich entsprechend den Vorgaben des Jobcenters zu verhalten,

– ein Verzicht auf die die Sanktionsfolgen auslösende Rechtsfolgenbelehrung.“

Dieser Passus ist ja quasi hellseherisch im Hinblick auf die aktuelle Entscheidung;-) Der Antrag wird im Sozialausschuss am 6.12.2019 behandelt. Da bietet sich die Gelegenheit, den Senat mal zu fragen, wie er sich die Umsetzung vorstellt. Die Ausschusssitzungen sind öffentlich. Nähere Infos folgen.

Meine Pressemeldung vom 05.11.2019.

Das Urteil vom 05.11.2019 selbst.

Einige Erläuterungen zum Urteil (SZ vom 06.11.2019).

Zu den Auswirkungen auf Geflüchtete (Fluchtpunkt Hamburg vom 06.11.2019).

Sehr empfehlenswerter Überblick zur medialen Kommentierung vom 09.11.2019.

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